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Rezension:

Dr. med. Ernst-Walter Henrich. Vegan. Die gesündeste Ernährung aus ärztlicher Sicht, edigo Verlag, Köln, 2021, Euro 20,-, 375 Seiten

Vegane Ernährung liegt im Trend. 1,13 Millionen Menschen ordnen sich laut Statista in 2020 als Veganer ein oder ernähren sich vorwiegend ohne tierische Produkte. Ihr Anteil steigt in den letzten Jahren kontinuierlich. Das Buch möchte all denen, die sich für diese Ernährungsform aus verschiedensten Gründen interessieren, fundierte und umfassende Informationen zur veganen Ernährung an die Hand geben. Dabei setzt er im ganz überwiegenden Ausmaß auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Rund 500, vorwiegend neue Studien, wurden dafür ausgewertet und werden in einem Anhang transparent aufgeführt.

Wie geht der Autor, promovierte Mediziner (1986) mit der durch die Ärztekammer zuerkannten Expertise für „Naturheilverfahren“ (1988), nun vor, um sein Wissen über Ernährung an die Frau oder den Mann zu bringen? Nach einem persönlichen Vorwort findet sich eine ausgesprochen eingängige Abhandlung des Ernährungsthemas: Zunächst werden die vier besonders kritischen Lebensmittelgruppen besprochen (z. B. Milch und Milchprodukte), dann folgen in unserer Gesellschaft weit verbreitete Krankheiten (z. B. Schlaganfall), um sich dann einzelnen Nahrungsbestandteilen (z. B. Fette) und Nahrungsergänzungsmitteln dezidiert zu widmen. Beschreibungen, Bedeutung und Analysen folgen jeweils, wobei geschickt die Forschungslage mit dem Konsum bzw. dem Auftreten verquickt wird. Dabei werden durchgängig die Auswirkungen einer veganen Kost mit denen einer nicht veganen, also für die Mehrheitsgesellschaft typischen Kost, verglichen. Die Unterschiede sind nach den dort angeführten Studien so eindeutig wie gravierend, durchgängig zugunsten einer veganen Lebensweise, so dass sich der Leser bzw. die Leserin fragt, warum dieses für jeden mit gutem Willen verfügbare und einsehbare Wissen sich nicht einer flächendeckenden Verbreitung erfreut. Die Antwort hierauf wird jedoch gleich mitgegeben: Neben einer Trägheit, einmal (falsch) Gelerntes infrage zu stellen, auch bei Teilen derer, die es von Berufswegen müssten (Ärztinnen und Ärzte, aber auch Ernährungsberater*innen, Lebensmittelanalytiker*innen, aber auch Journalisten*innen), sind es nach Aussagen des Autors Lobbyisten der  hervorragend vernetzten Agrar- und Tierindustrie, die nicht nur Unwahrheiten in der Öffentlichkeit verbreiteten, sondern auch Entscheidungsträger*innen profitorientiert beeinflussen.

Dass eine „vegane“ Ernährung nicht automatisch eine gesunde Ernährung darstellt, bleibt nicht unerwähnt (beispielsweise ist Zucker vegan; auch denke man an die Fertigprodukte). Sicherlich werden dadurch, so der Autor, schlimmste Verwerfungen in der Alltagskost in aller Regel vermieden, doch sei nur eine vegane Ernährung die „gesündeste“ Ernährung, die genau benannte Fallstricke vermeiden würde. Zur Orientierung zum Besseren werden 7 Regeln angeführt, deren Beachtung nach einer Eingewöhnungsphase gleichermaßen simpel wie wirksam erscheinen (z. B. Regel 3: „Vitamin C-haltige Getränke oder Nahrungsmittel zu den Mahlzeiten, um die Eisenaufnahme zu optimieren“).

Zum Abschluss des Werkes werden neben den bis dato im Fokus stehenden gesundheitsorientierten Argumenten noch weitere Gründe für die vegane Lebensweise ausgewiesen. Während ich die zuvor aufgeführten Begründungen samt ihrer wissenschaftlichen Belege nicht an meiner eigenen Expertise spiegeln kann, wiewohl ich sie für extrem überzeugend dargeboten erachte, sind mir die in dieser Sektion aufgeführten Argumente geläufig und vielfältig durch andere Quellen belegt (Welthunger, Klima und Umwelt, Zoonosen etc.). Es kann nach wissenschaftlichem Stand der Forschung überhaupt kein Zweifel bestehen, dass eine vegane Ernährung bzw. die dafür notwendige veränderte Umstellung auf eine pflanzenbasierte Kost hierauf extrem positive Auswirkungen erzielen würde. So durfte man beispielsweise dem Spiegel in seiner Onlineausgabe am 04.02.21 und damit nach Erscheinen des Buches folgende zusammenfassende Aussage entnehmen: „Laut einem Uno-Bericht muss sich die Menschheit jetzt von ihrem immensen Fleischverzehr verabschieden, um den weltweiten Verlust an Tierarten und Ökosystemen zu stoppen … Nur mit mehr pflanzlicher Ernährung  kann der dramatische Verlust an Biodiversität und ökologisch sensiblen Lebensräumen aufgehalten werden“ und das Risiko von Pandemien sinken. Damit zeigt sich das Werk auch außerhalb der für den Einzelnen bedeutsamen Gesundheitsorientierung auf der Höhe der Zeit. Die Absurdität eines unveränderten „Weiter so“ wird durch die Lektüre noch einmal ins Bewusstsein gerufen.

Angesprochen wird auch die tierethische Seite. Sie spielt in der Öffentlichkeit nicht die ihr eigentlich zustehende Rolle, so dass die Qual und Last, die „Nutztiere“ zu erleiden bzw. zu tragen haben, nicht hinreichend vergegenwärtigt wird. Außerhalb des Mainstreams hat sich hier allerdings eine breite wissenschaftliche Diskussion entwickelt, die mit den Statements im vorliegenden Werk gut korrespondiert. Am Ende steht dort die Einsicht, dass eine ethische Legitimierung der Massentierhaltung nicht zu erreichen ist, sondern dass ein macht- und profitorientiertes Verhalten Antrieb zu dieser Zucht ist, deren externe Effekte zudem noch die Allgemeinheit zu tragen hat.

In einem knappen Schlusswort wird zum Ende noch einmal als Ermutigung herausgestellt, dass eine gesunde vegane Ernährung im Grunde einfach umzusetzen und vor allem geschmacklich höchst reizvoll sei. Dies dürfte für viele sicherlich ebenfalls neu sein, galt die vegane Ernährung vielen vielleicht noch als lobenswert, aber nicht wohlschmeckend. Diese Auffassung befindet sich gerade in einem Umbruch, schaut man sich die Kochbuchlandschaft und Restaurantoffensiven jetzt genauer an.

Was leistet also das vorliegende Buch? Meines Erachtens sehr viel und kann deshalb als Standardwerk zur veganen Ernährung empfohlen werden. Es informiert über Ernährung, Ernährungsstoffe und die Folgen einer ungesunden wie gesunden Ernährung umfassend. Es zeigt auf, welcher Weg gegangen werden sollte, um eine Ernährung für sich zu wählen, die aus wissenschaftlicher Sicht und persönlichen Erfahrungen der gesündeste Weg ist. Es klärt (mit gelegentlich etwas drastischen Worten) auf, warum die vegane Ernährung so viele Gegner hat und wie deren Abwehrstrategien funktionieren. Es legt über die Person des Einzelnen hinaus gerichtet dar, warum diese Ernährungsform für nicht weniger als das Überleben der Menschheit einen prioritären Beitrag leistet. Und es führt an, dass eine vegane Ernährung zu alledem auch noch wohlschmeckend ist. Meines Erachtens reichen diese Gründe aus, sein eigenes Ernährungswissen durch dieses Buch zu  verbreitern und zu vertiefen. Am besten, so meine Empfehlung, sucht man sich im Netz oder aus einem Kochbuch ein veganes Rezept, was einen anspricht, und kocht es nach. Gesundheit, Genuss und Engagement für eine zukunftsfähige Welt könnten so eine aufregende Verbindung eingehen.

Univ.-Prof. Dr. Jürgen Weibler

Disclaimer: Ernst-Walter Henrich ist mir persönlich seit seinem Medizinstudium in Köln bekannt. Die Rezension ist eine ausformulierte Rückmeldung, die ich ihm initiativ gegeben habe und die er daraufhin anregte. Dem bin ich gerne gefolgt. Das Buch hatte ich zuvor aus Interesse und auf eigene Kosten angeschafft. Direkte oder indirekte Vergütungen waren und sind mit dieser Rezension nicht verbunden.