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Es heißt immer wieder, es sei schwierig, etwas auf dem Gebiet rituelle Schlachtung in Europa zu bewegen, weil es sich um Religion handele und manche versuchen würden, das Thema Schächten zu antimuslimischen und antisemitischen Zwecken zu nutzen. Es sollte aber Tierschützer nicht davon abhalten, das Thema zum Schutz der Tiere anzugehen, und zwar aus mehreren Gründen.

IST DIE RITUELLE SCHLACHTUNG WIRKLICH (NUR) EIN RELIGIÖSES THEMA?

Was sollte die höchste Priorität haben: der Tierschutz oder die Religionsfreiheit? Massood Khawaja, Vorsitzender der englischen Organisation the Halal Food Authority hat die Frage geklärt: “It’s a question of animal welfare.”

Quelle:

http://www.independent.co.uk/news/uk/home-news/end-cruel-religious-slaughter-say-scientists-1712241.html

Man stelle sich vor: eine außer-europäische Religion verlangt das Opfer des ältesten Kindes und die Gläubigen setzen dieses uralte religiöse Gesetz in ihrer Ursprungsregion auch tatsächlich um. Würden unsere europäischen Gesetzgeber dieses Opfer in Europa tolerieren? Selbstverständlich nicht, weil das religiöse Gesetz eindeutig gegen ein grundsätzliches Menschenrecht verstoßen würde. Das Recht auf Leben des Menschen wird heute höher gestellt als die Religionsfreiheit, wie das Motto von The National Secular Society (England) es zusammenfasst: “Human rights before religious rights”. Es ist für uns selbstverständlich aber es war lange Zeit und bis vor kurzem anders. Wir brauchen uns nur an alle aus religiösen Gründen Verbrannten, zu Tode Gefolterten oder Vergasten zu erinnern. Tierschutz und Religionsfreiheit werden dagegen in der deutschen Verfassung gleichgesetzt: ein Tierleben wird nicht höher gestellt als die Religionsfreiheit. Wo die Menschenrechtsbewegung und die Säkularisierung in Europa über religiöse Belange gewonnen haben, hat die Tierrechtsbewegung versagt – zumindest bis heute. Wir brauchen nun ein neues Motto: Animal rights before religious rights!

Die Fleischindustrie, ob vor christlich-jüdischem oder muslimischen Hintergrund ist vor allem eine Industrie. Es geht um Geld. Der Verkauf an die säkulare Fleischindustrie der nicht koscheren aber für nicht-jüdische Konsumenten besten Teile wie Entrecôte, Filet und Rumsteak senkt den Preis des Koscherfleischs. Die Etikettierung gefährdet diese Preislage, die mangelnde Etikettierung führt aber dazu, dass nicht-jüdische Verbraucher die Kaschrut mitfinanzieren.

Das rituelle Schlachten ist ein Tabu-Thema. Der Versuch, die Betäubung vorzuschreiben wird als antimuslimische oder antisemitische Haltung interpretiert. Das Thema überhaupt nicht anzugehen kann aber auch so gedeutet werden, man würde glauben, Muslims und Juden seien nicht fähig, über ihre eigene Religion zu reflektieren, insbesondere über das Verhältnis ihrer Religion zu Tieren. Genau das wäre in der Tat antimuslimisch und antisemitisch, denn Muslims und Juden sind sehr wohl fähig, ihre Religion kritisch zu hinterfragen und sich der Tierrechtsproblematik anzunehmen.

Vier Beispiele:

In der Ausgabe vom ersten Quartal 2014 des Informationsmagazins des bereits erwähnten französischen Vereins OABA wird ein Artikel dem Aïd Al Adha gewidmet: „Certains intellectuels musulmans plaident pour un sacrifice symbolique, un sacrifice „mental“. Abdelwahab Meddeb, écrivain et professeur de littérature comparée (Europe et monde islamique) à l’Université Paris-X, souhaite concilier l’Islam avec la modernité. Il écrit ainsi : « J’estime, d’un point de vue anthropologique que celui qui continue de sacrifier ne peut pas évoluer. Nous sommes de plus en plus nombreux sur cette terre, il y a 1,5 milliard de musulmans. Vous imaginez, il y aurait 700 millions de bêtes qui seraient abattues en une journée ? Vous imaginez le bain de sang que c’est ? J’appelle véritablement les musulmans à savoir vivre un sacrifice symbolique, à être dans un sacrifice mental. »“

Übersetzt: Manche muslimische Intellektuelle plädieren in Frankreich für ein symbolisches, mentales Opferfest. Abdelwahab Meddeb, Schriftsteller und Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft (Europa und islamische Welt) an der Universität Paris-X möchte den Islam mit der Modernität in Einklang bringen. So schreibt er: „Ich bin der Meinung, dass sich, anthropologisch gesehen, niemand weiter entwickeln kann, der weiterhin Tiere opfert. Wir sind immer mehr auf dieser Erde, es gibt 1,5 Mrd. Muslims. Stellt Euch vor, es werden an einem Tag 700 Mio. Tiere geschlachtet! Stellt Euch einmal dieses Blutbad vor! Ich rufe die Muslims auf, ein mentales, symbolisches Opfer zu leben.“

Quelle:

http://www.oaba.fr/

http://www.youtube.com/watch?v=LFPPRp5j7l4

Prof. Dr. Tamer Dodurka von der Universität Istanbul, Fakultät des Veterinärwesens hatte maßgeblich zur Einführung der Betäubung in der Türkei beigetragen. Er hatte sich so folgendermaßen geäußert: “In unserem Land hat die Religionsbehörde, die zuständig für Religionsangelegenheiten ist, eine Fatwa, also eine religiöse Vorschrift, gegeben und erklärt, eine Schlachtung mit Betäubung verstoße nicht gegen den Islam. Für den Islam ist es wichtig, dass das Tier noch vor seinem Tod geschnitten wird und dass sein ganzes Blut abfließt. In dieser Hinsicht tötet die Betäubung das Tier nicht.”

Quelle: http://www.swr.de/report/-/id=233454/nid=233454/did=3563876/kxl34z/

Was das Judentum angeht, so haben wir das leuchtende Beispiel von Jonathan Safran Foer, der in seinem Buch Tiere essen die Reinheit des Koscherfleisches sehr kritisch hinterfragt und dabei keinesfalls alleine steht: „Als ich auf einem Video sah, wie Rindern im größten koscheren Schlachthof der Welt, AgriProcessors in Postville, Iowa, regelmäßig bei vollem Bewusstsein Luft- und Speiseröhre aus den aufgeschlitzten Kehlen gerissen wurden, wie sie aufgrund schlampiger Schlachtung bis zu drei Minuten lang leiden mussten und ihnen Elektroschocker ins Gesicht gehalten wurden, nahm mich das viel stärker mit als die unzähligen Male, da ich von solchen Vorfällen in konventionellen Schlachthäusern gehört hatte.

Zu meiner Erleichterung sprach sich auch die jüdische Gemeinde lautstark […] aus. Der Vorsitzende der Rabbinerversammlung des Conservative Movement sandte folgende Botschaft an jeden seiner Rabbis: „Wenn ein Unternehmen, das sich als koscher bezeichnet, gegen das Verbot des tzar’ar ba’alei hayyim [unnötigen tierischen Leids] verstößt, also einem von Gottes lebendigen Geschöpfen Schmerz zufügt, so muss sich dieses Unternehmen vor der jüdischen Gemeinde und letztlich vor Gott verantworten.“ Der Inhaber des orthodoxen Talmud-Lehrstuhls an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, Dr. Chaim Milikowsky, protestierte ebenfalls, und das sehr wortgewandt: „es ist sehr gut möglich, dass ein Schlachthof, der auf solche Weise Schechita [koscheres Schlachten] betreibt, sich einer Hillul Haschem, einer Entehrung des Namens Gottes, schuldig macht – denn zu behaupten, Gott sei nur an der Einhaltung der rituellen Gesetze und nicht der moralischen Gebote interessiert, heißt, seinen Namen zu entehren:“ […]

Ist es in unserer Welt – nicht der Hirte-und-Herde-Welt der Bibel, sondern unserer überbevölkerten Welt, in der Gesetz und Gesellschaft die Tiere als Ware behandeln – überhaupt möglich, Fleisch zu essen, ohne „einem von Gottes lebendigen Geschöpfen Schmerz zuzufügen“, ohne […] „den Namen Gottes zu entehren“? Ist das Konzept „koscheres Fleisch“ ein Widerspruch in sich geworden?“

Zu einem ähnlichen Schluss ist auch Dr. Hanna Rheinz in Deutschland gekommen: Das Fleisch gequälter Tiere ist niemals koscher.“ In einem an den Zentralrat der Juden gerichteten „Offenen Brief“ betont Dr. Hanna Rheinz von der Initiative Jüdischer Tierschutz ausdrücklich: Es gibt aus halachischer Sicht keinen Grund, warum eine reversible Elektrokurzzeitbetäubung mit dem Gebot der schonendsten Tötung nicht vereinbar sein sollte, denn ein so betäubtes Tier ist nicht Aas. Die Religionsfreiheit wird durch eine Streichung von Nr. 2, Abs. 2 des § 4 a des Tierschutzgesetzes nicht bedroht!

Ich fordere Sie, die Rabbiner und die Kultusbeauftragten der Jüdischen Gemeinden dazu auf, deutlich zu machen, daß die Kaschrut, die auf ritueller Reinheit beruhenden Speisegesetze, nicht mit dem unsäglichen Leiden der Tiere zu vereinbaren sind.“ Die Aussage ihres Offenen Briefes fasst Dr. Hanna Rheinz auf der Webseite der Initiative Jüdischer Tierschutz wie folgt zusammen: „Schächten unter Einsatz von reversibler Elektrokurzzeitbetäubung mindert die Religionsfreiheit nicht, sondern ermöglicht erst ein zeitgemäßes schonendes Schlachten im Sinn des Jüdischen Tierschutzgebotes!“

Quelle: http://www.tierimjudentum.de/

Aus dem Vorhergehenden lässt sich schließen, dass die Religionsfreiheit kein wahres Hindernis für die Schlachtungsartetikettierung und die Abschaffung der betäubungslosen Schlachtung darstellt. Vielmehr stehen wirtschaftliche und finanzielle Interessen im Wege.

In Frankreich verbreitet sich das rituelle Schlachten auch in säkularen Schlachthöfen denn aus finanziellen Gründen akzeptieren diese auch „Aufträge“ der religiösen Minderheiten. Geräte und Methoden sind jedoch andere und jedes Mal, wenn Tiere halal oder koscher geschlachtet werden sollen, muss die Schlachtbank gereinigt werden, sonst werden die Tiere für das Halal- und Koscherfleisch unrein und können nicht mehr als Halal- oder Koscherfleisch verkauft werden. Es ist dem nicht-muslimischen und nicht-jüdischen Verbraucher dagegen egal, ob sein Fleisch in Kontakt mit Halal- und Koscherfleisch gekommen ist. Dabei sollte er darauf achten, denn die rituelle Schlachtung ist gesundheitlich weniger sicher. Der Inhalt der Speiseröhre und des Darmes kann das Fleisch verunreinigen und unter anderem zu einer Erhöhung der Verseuchung durch Escherichia coli führen. Bei der üblichen Schlachtung dagegen dürfen Trachea und Speiseröhre nicht durchtrennt werden.

Quelle:

http://de.observatoireduhalal.com/halal-fleisch-hunderte-kinder-in-frankreich-sterben-jahrlich-an-keimverseuchten-fleisch/

Also ist es einfacher für die französischen Schlachthöfe ganz halal und koscher zu schlachten. Weniger Zeitaufwand, weniger Kosten, und das schwächste Glied wird dafür geopfert.

Dabei hat das Europäische Parlament mehrmals die Kennzeichnung der Schlachtung ohne Betäubung verlangt. Leider wurde sie vom Ministerrat, insbesondere von der englischen, deutschen und französischen Regierung geblockt: „Bruno Le Maire et Brice Hortefeux, lorsqu’ils étaient respectivement ministre de l’Agriculture et ministre de l’Intérieur, se sont opposés à l’étiquetage des viandes et ont mis en échec la proposition adoptée par le Parlement européen, en avril 2011, d’une traçabilité passant par un étiquetage précisant les conditions d’abattage des animaux. Position du Parlement européen bien connue de l’actuel ministre de l’Agriculture puisqu’il était alors député et membre de la Commission de l’agriculture.

Übersetzung : Bruno Le Maire und Brice Hortefeux, als sie französische Landwirtschaftsminister und Innenminister waren, haben die Kennzeichnung des Fleischs abgelehnt und die vom Europäischen Parlament im April 2011 adoptierte Empfehlung für die Kennzeichnung der Schlachtungsbedingungen zum scheitern gebracht. Der Standpunkt des Europäischen Parlaments ist dem jetzigen Landwirtschaftsminister [Stéphane Le Foll] wohl bekannt, da er zu dem Zeitpunkt MdEP und Mitglied des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung war.

Quelle:

http://www.fondationbrigittebardot.fr/abattage-rituel-Stephane-LeFoll

Selbstverständlich haben die jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaften besonders den Änderungsantrag 205 bzgl. der Kennzeichnung der Schlachtung ohne Betäubung verfolgt, den der Ausschuss für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) des Europäischen Parlaments verlangt hat.

Quelle:

http://www.al-kanz.org/2011/04/20/abattage-etiquetage-etourdissement/

Eine Reaktion gegen diesen Änderungsantrag war das europaweite Lobbying der europäischen Landwirtschaftsminister von insbesondere den Organisationen Shechita UK und Shechita EU: “Shechita UK has put in place a professionally managed Europe-wide lobbying campaign which is currently targeting European Ministers who will be representing their various Governments at the Council of Ministers. We have also of course been in contact with the relevant British Ministers.”

Quelle: http://www.shechitauk.org/fileadmin/user_upload/pdf/Questions_and_Answers_about_labelling_and_Amendment__205.pdf

http://www.shechitauk.org/fileadmin/user_upload/pdf/Letter_to_Jim_Paice_June_2012.pdf

Das Lobbying war erfolgreich: “In a letter to the National Secular Society just weeks before the latest move, Jim Paice MP, Minister of State for Agriculture and Food, signalled the UK Government’s intention to oppose the labelling amendment saying that he had recently met with Shechita UK to help him “understand the concerns driving their opposition to labelling”.”

Quelle:

http://www.secularism.org.uk/euro-ministers-drop-proposals-to.html

Marika Marcuzzi

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Meine Anmerkung dazu:

Was hat Fleischfressen mit Religion zu tun? Der Konsum von Fleisch ist eine widerliche Befriedigung eines egoistischen Bedürfnisses nach einem Gaumenkitzel, aber keine Religion. Ich kenne keine Religion, die Fleischkonsum als religiösen Akt vorschreibt. Damit nicht genug, Versklavung, Ausbeutung und die Ermordung von Tieren wegen Fleischkonsum ist ein barbarischer Akt, der gegen Gott und sein Schöpfung gerichtet ist. Wie man hier noch von Religion sprechen und Gott in einem Atemzug nennen kann, das ist schon eine extreme abartige Bösartigkeit.

Erstaunlicherweise spricht in diesem Zusammenhang niemand davon,

…dass der Konsum von Fleisch, Milch und Eiern für mindestens 51 % der weltweiten von Menschen ausgelösten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist und somit den Klimawandel bzw. die Klimakatastrophe massgeblich auslöst und damit die Existenzgrundlagen nachfolgender Generationen zerstört,

… dass täglich ca. 6.000 – 43.000 Kinder an Hunger sterben, während ca. 40 % der weltweit gefangenen Fische, ca. 50 % der weltweiten Getreideernte und ca. 90 – 98 % der weltweiten Sojaernte an die „Nutztiere“ verfüttert werden, was zum grossen Teil sogar aus den “Hungerländern” stammt, (80% der hungernden Kinder leben in Ländern, die einen Nahrungsüberschuss produzieren, doch die Kinder bleiben hungrig und verhungern, weil der Getreideüberschuss an Tiere verfüttert bzw. exportiert wird.)

… dass jeder Tod eines Tieres und die systemimmanente Tierquälerei in der Tierhaltung und Schlachtung wegen eines banalen ungesunden Geschmackerlebnisses ein unerträgliches und zum Himmel schreiendes Unrecht darstellt,

… dass sich die Menschen durch den Konsum von Fleisch, Milch, Milchprodukten, Eiern und Fisch die schwersten Erkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt, Bluthochdruck, Schlaganfall, Diabetes, Alzheimer, Demenz, Adipositas usw. an(fr)essen.

Ist es vorstellbar, dass Gott Wohlgefallen daran hat,

… dass seine Schöpfung durch ein gigantisches dekadentes Fressgelage missbraucht und zerstört wird?

… dass der Mensch die ihm geschenkte Gesundheit mit gesundheitsschädlichen Tierprodukten ruiniert?

… dass der Mensch seinen Mitmenschen in der „Dritten Welt“ die Nahrung vorenthält, sie verhungern lässt und mit der vorenthaltenen Nahrung stattdessen gequälte „Nutztiere“ mästen lässt, weil ihm ein Geschmackserlebnis mehr wert ist als ein Menschenleben?

… dass der Mensch die von Gott erschaffene Umwelt zerstört und eine Klimakatastrophe verursacht?

… dass die von ihm erschaffenen Tiere als Geschöpfe Gottes ausgebeutet und gequält werden?

Alles dies geschieht durch den Konsum von Fleisch, Wurst, Milch, Käse, Eiern und anderen Tierprodukten. Wer diese tierlichen Produkte isst, beteiligt sich an einem System, welches Gottes Schöpfung beschädigt und zerstört.

Was hat die Zerstörung von Menschen, Tieren, Klima und Umwelt mit Religion zur Ehre Gottes zu tun? Das ist Irrsinn!