«Nach dem Überfall auf die Ukraine machte der russische Staat den Ärmsten der Armen ein Angebot, zu dem sie nur schwer Nein sagen konnten. Verpflichtet sich ein junger Mann aus diesen desolaten Verhältnissen für ein halbes Jahr beim Militär, erhält er einen monatlichen Sold von 200 000 Rubel, was rund 2000 Dollar entspricht. Das ist das Dreizehnfache des ortsüblichen Gehalts.»
«Für ein gefallenes Familienmitglied werden 5 Millionen Rubel – also 50 000 Dollar – fällig. Für die verwaiste Familie bedeutet dies den Aufstieg in eine höhere soziale Schicht. Sie kann ihre Schulden abbezahlen und eine Wohnung in einer grösseren Stadt erwerben. Hinzu kommen Sonderleistungen wie erhöhte Invalidenrenten, Studienquoten für Kriegsteilnehmer und deren Kinder.»
«In Anbetracht der in Aussicht gestellten materiellen Verheissungen scheint der Tod des einzigen Sohnes (oder des Ehemanns oder des Vaters) hier durchaus erträglich. Davon abgesehen sind russische Männer nicht selten Taugenichtse, die Frauen und Kindern das Leben zur Hölle machen.»
«In einem Land, in dem pro Jahr 14 000 Frauen an häuslicher Gewalt sterben, kann es durchaus sein, dass verzweifelte Mütter, Ehefrauen und Freundinnen ihren Peinigern den Tod wünschen. Was für eine Befreiung, wenn der gewalttätige Sohn oder der versoffene Ehemann ihnen nicht mehr die Luft zum Atmen nimmt und stattdessen postum zum Helden erklärt wird. Eigentlich müssten Menschenleben im demografisch schrumpfenden Russland wertvolles «Humankapital» darstellen, doch stattdessen wird im Krieg paradoxerweise der Tod junger Männer ideologisch verklärt und materiell belohnt.»
«In dem Land mit einer der höchsten Einkommensungleichheiten der Welt scheint ein Experiment im Gange zu sein, das, wird der Krieg noch lange dauern, die soziale Struktur der Gesellschaft nachhaltig verändern kann. Ähnlich wie nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg nach 1918 verlassen gebildete Ober- und Mittelschichten – Wissenschafter von internationalem Rang, Professoren von Eliteschulen, IT-Spezialisten und Ärzte, Künstler und Intellektuelle – Russland. Ihre vakant gewordenen Positionen auf verschiedensten gesellschaftlichen Feldern werden von systemtreuen Aufsteigern besetzt.»
«Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der möglicherweise auf Permanenz gestellte Krieg gegen die Ukraine in Russland selber immer mehr auf eine soziale Säuberung der eigenen Gesellschaft hinauslaufen wird.»
Anmerkung:
«Der Krieg ist ein Ort, an dem sich junge Menschen, die sich nicht kennen und nicht hassen, gegenseitig umbringen, aufgrund von Entscheidungen, die von alten Menschen getroffen werden, die sich kennen und hassen, aber nicht umbringen… « – Paul Valéry
Ein erbarmungsloser Krieg gegen die Natur:
https://www.wiwo.de/technologie/wirtschaft-von-oben/wirtschaft-von-oben-232-technologierohstoffe-die-seltene-erden-minen-ueber-die-china-lieber-nicht-spricht/29412232.html?utm_medium=ko&utm_source=zeit&utm_campaign=parkett
Lief bei der französischen Fremdenlegion kaum anders.
Kriminelle, Abenteurer und..einsame Ausnahmeerscheinungen wie der später geläuterte Dr. Scholl-Latour.
Korrigiere: Es läuft noch so.